Therapeutische Heimerziehung

Therapeutische Heimerziehung wird nicht nur durch die besondere Qualifikation der Fachkräfte im Gruppendienst (Diplom-Pädagogen*innen, Sozialpädagogen*innen und Heilpädagogen*innen und Erzieher*innen) und den Umfang der Fachdienstwochenstunden (4 Std. pro Platz) bestimmt, sondern vor allem durch ein Konzept der in den Erziehungsalltag integrierten Therapie. Es baut auf den Konzepten therapeutischer Heimerziehung von August Aichhorn, Fritz Redl, Bruno Bettelheim, Albert E. Trieschman und Larry K. Brendtro auf, insbesondere auf deren klassischen Veröffentlichung „The Other 23 Hours“, die die Bedeutung des Tagesablaufes und der therapeutischen Nutzung des Aufstehens und Zubettgehens, der Mahlzeiten und der therapeutischen Gespräche im Gruppenalltag aufzeigt. Trieschman u.a. zeigten, dass gerade für junge Menschen mit schweren emotionalen Störungen Einzeltherapie nicht ausreicht, sondern der gesamte Tagesablauf, das gesamte Umfeld therapeutisch konzipiert werden müssen. Gerade in dezentralen Wohngruppen müssen auch aus organisatorischen Gründen die Fachdienstmitarbeiter/innen in den Gruppenalltag integriert sein und vor Ort mit den Gruppenpädagogen Alltagshandeln therapeutisch wirksam machen und Förderungen und Einzel- und Gruppentherapie integrieren. Vor allem Bruno Bettelheims Milieutherapie hat die Bedeutung der Umgebung der Wohngruppe, der Notwendigkeit der Überschaubarkeit und die Bedeutung der Gebäude und Raumgestaltung herausgearbeitet. Der Gruppenpädagoge steht im Mittelpunkt der therapeutischen Wirkung, der Fachdienst wirkt unterstützend. Gruppendynamik, das „Tür-und-Angel-Gespräch“ („Life-Space-Interview“ bei Fritz Redl) und gemeinsame Alltagsbewältigung werden zur Heilung psychischer Störungen genutzt. Von Fachdienst- und Gruppenmitarbeitern/innen werden gemeinsam heilpädagogisch-therapeutische Förderungen und Gruppenangebote durchgeführt (Spiel-Sport, Werken, Tonen, Reiten usw.) Vor allem Peter Flosdorf hat dazu handlungsfeldbezogene Konzepte entwickelt und beschrieben. 

Tagesstruktur
Wohn- Esszimmer in der Gemünder Mühle

Gerade das Zusammenleben der Kinder und Jugendlichen in einer Gemeinschaft bestimmt das besondere Milieu der Wohngruppenerziehung. Die Familiengemeinschaft wird ersetzt durch die familienähnliche Wohngruppe. Das Gruppenmilieu unterscheidet sich von einer eventuell problematischen Familiensituation durch die unbedingte Annahme des Kindes mit seinem aktuellen Verhalten. Vor allem anderen sollen sich die Kinder und Jugendlichen wohlfühlen. Die Gruppe soll für das Kind Schutz und Schonraum sein, in dem es sich geborgen fühlt. Das Kind soll fühlen, dass es ungeachtet seiner Schwächen und Fehler von den anderen Gruppenmitgliedern und vor allem von seinen Pädagogen akzeptiert wird. 

Darüber hinaus stellt die Gruppe mit ihrem geregelten Tagesablauf einen klaren Orientierungsrahmen für die Kinder und Jugendlichen dar, der ihnen sowohl für ihre äußere als auch für ihre innere Lebenssituation Halt bietet. 

Der Tagesablauf: das tägliche Aufstehen, die Mahlzeiten, die Arbeiten in der Gruppe und das Zubettgehen werden angenehm, pädagogisch sinnvoll und familienähnlich gestaltet.

Die Tagesstruktur ist heilpädagogisch-therapeutisch gegliedert. Der Nachmittag beginnt mit einer Hausaufgaben- und Lernzeit, bis zum Abendessen finden dann schwerpunktmäßig Einzel- und Gruppenförderungen statt. 

An einigen Tagen der Woche werden regelmäßig spezifische Angebote für die ganze Gruppe durchgeführt so zum Beispiel die Gruppenbesprechung, am Freitag Eltern-Kind-Gruppen und Elterngespräche und am Samstag oder Sonntag die Gruppenunternehmungen. 

Eine besondere Bedeutung im Tagesablauf haben die Mahlzeiten. Neben der Befriedigung der primären Bedürfnisse der Kinder haben sie auch die Aufgabe, Zuwendung und emotionale Wärme erlebbar zu machen. Damit kommt nicht nur der Mahlzeit selber, sondern auch der Gestaltung der Essenssituation besondere Bedeutung zu. Bei der Planung der Speisen werden die Vorschläge mit den Kindern und Jugendlichen besprochen. Die Gruppe ist in der Lage, für einzelne Kinder und Jugendliche eventuell notwendige Diäten im Rahmen der Behandlungspläne zu zubereiten.

Das abendliche Zubettgehen bietet eine besondere Gelegenheit, mit den Kindern und Jugendlichen persönliche Gespräche zu führen. Im Arbeitsablauf werden diese Einzelgespräche durch eine ausreichende personelle Besetzung der Gruppe möglich. Im Rahmen der Erziehungsplanung können Kindern am Abend Märchen vorgelesen oder Geschichten erzählt werden, auch sind motorische Übungen und Entspannungsübungen möglich. Beendet wird der Tag mit einem Nachtgebet. 

Die Gruppe ist als selbstständige, in sich abgeschlossene Wohneinheit so angelegt, dass sich die Kinder und Jugendlichen in einer familienähnlichen Atmosphäre wohlfühlen können. So werden nicht nur die primären Bedürfnisse der Minderjährigen befriedigt, sondern auch Geborgenheit vermittelt. Die jungen Menschen fühlen, dass sie angenommen werden.

Räume für Geborgenheit
Zwei Kinder lachend Arm in Arm

In der Evangelischen Jugendhilfe werden die Wohn- und Arbeitsräume der jungen Menschen nach pädagogischen Kriterien gestaltet. Farben und Formen sollen die Entwicklung des jungen Menschen und seine Erziehung fördern.

Dazu wurde in Bayern bereits vor über 30 Jahren ein erstes Forschungsprojekt zu dem Thema:

„Der Raum in seiner heilenden Wirkung“ durchgeführt, an dem die Einrichtung teilgenommen hat. Wissenschaftlich geleitet wurde das Projekt von Prof. Wolfgang Mahlke und einem Team aus Architekten, Handwerkern und Pädagogen*innen.

Orientiert an den Bedürfnissen der jungen Menschen und den pädagogischen Absichten werden Gemeinschaftsraum und Individualbereich aller Kinder und Jugendlichen gestaltet. Die wesentlichen Funktionen essen, kochen, tätig sein, werken, spielen und kommunizieren liegen im Mittelpunkt der Wohngruppe. Durch Übergangsbereiche werden Individual- und Gruppenbereich miteinander verbunden. Alle Zimmer sind individuell gestaltet, damit jedes Kind, jeder Jugendliche seine eigene Identität entwickeln kann. Das Bett als Ort der Geborgenheit hat besondere Bedeutung in der Zimmergestaltung. 

Als Entwicklungslinien in der Raumgestaltung orientieren sich die Gruppen an folgenden Prinzipien: 

  • vom Undifferenzierten zum Differenzierten, 
  • vom Dekorativen zum Elementaren, 
  • von der Symmetrie zur Asymmetrie, 
  • von der Instabilität zur Stabilität, 
  • von der Kontrollierbarkeit zur Geborgenheit, 
  • von laut zu leise, 
  • von Passivität zu Aktivität, 
  • von Umtriebigkeit zur Befriedung, 
  • von der Addition zur Integration. 

Soweit möglich werden die Räume gemeinsam mit den Mitarbeitern*innen und den jungen Menschen gestaltet. Dieser Prozess benötigt bei Gruppengründung mehrere Monate Zeit. In dieser „Übergangszeit“ werden die Räume zum Teil „klassisch“ mit Möbeln ausgestattet. Schrittweise findet dann die heilpädagogische Raumgestaltung statt. Wechseln die Bewohner/innen, können Zimmerbereiche an die Bedürfnisse der neu Aufgenommenen angepasst werden. So wird Raumgestaltung zu einem pädagogischen Prozess, der Identifikation, Sorgfalt, Wertbewusstsein und Identitätsfindung fördert.

 

Ein Bericht von Heike Kaspers

Es liegt schon eine Weile zurück -in der Wohngruppe, die damals „Nudeltopf“ hieß, arbeitete ich im Gruppendienst, 1985 ff. Zwölf junge Menschen lebten dort, Jugendliche, in Dreier-Zimmern und in Doppelzimmern. Hier war immer was los. Die Ausstattung der Zimmer: Möbel aus Pressspan - nach einmaligem Verschieben wackelten sie, die Ecken brachen ab, die Scharniere rissen aus und die Schlösser waren rasch kaputt. Damals gab es wenig Geld in der Jugendhilfe, wir konnten uns keine anderen Möbel leisten.

Nicht jeder Jugendliche hatte einen Schreibtisch – dafür waren die Zimmer zu klein. Die Hausaufgaben haben alle zusammen am Esstisch gemacht.

Die Bodenbeläge waren Teppiche oder PVC, die einen waren stets fleckig, das andere hatte immer Macken.

Einen großen Gruppenraum gab es nicht, wir hatten die klassischen Räume: Esszimmer, Wohnzimmer und eine kleine Teeküche. Damals kam das in der Großküche gekochte Essen wie von Geisterhand mit einem kleinem Aufzug zu uns in den 2. Stock. Alles in großen, stapelbaren Töpfen mit je einem Riesenschöpfer.

Die damaligen Schwierigkeiten: 

  • die Jugendlichen konnten schlecht einschlafen,
  • die Betten standen so, dass der Kopf an der Heizung oder unter dem Fenster lag
  • es gab keinen Platz zum Spielen
  • nichts konnte man irgendwo liegenlassen
  • die Putzfrau klagte stets über die Unordnung
  • es gab sehr wenig Eigentum
  • handwerkliche Arbeiten waren in der Gruppe nicht möglich
  • es war sehr laut
  • der Fernseher stand im Mittelpunkt
  • die Kinder und Jugendlichen hielten sich sehr gerne im Dienstzimmer bei der Erzieherin auf
  • die jungen Menschen konnten sich schlecht konzentrieren
  • es wurde viel zerstört
  • es war ungemütlich, es roch nach Heim und
  • es gab keinen Platz um ungestört zu sprechen

Obwohl es schon so lange her ist – ich kann mich gut daran erinnern. Wir machten das Beste aus dieser Situation und setzten viele unserer Ideen um, damit es gemütlich wurde. 

1998 war es dann soweit, unsere Gruppe wurden umgebaut. Das war ein großes Erlebnis.

Es wurde geplant, gezeichnet, besprochen, ausgesucht, mit den Eltern und den Jugendlichen gebaut, geschliffen, gezimmert, eingeölt und eingerichtet. Das war ein hartes Stück Arbeit. Aber es hat sich gelohnt. Das Weg dahin und das Ergebnis selbst waren sehr gelungen. Und das ist bis heute so.

Die Veränderungen:

  • die verwinkelte Bauweise brachte Geborgenheit
  • es gab Rückzugsmöglichkeiten
  • die Kontrolle war etwas schwieriger, doch der Schutz wurde gefördert, Ängste und Aggressionen wurden deutlich weniger
  • Vertrauen wurde vermittelt
  • das Gruppenleben erhielt eine Zentrale 
  • die warmen Materialien, das Holz vermittelten den jungen Leuten Stabilität und Geborgenheit 
  • es entstand eine positive Atmosphäre
  • der gegliederte Gruppenraum schaffte Möglichkeiten sich gleichzeitig auf verschiedene Arten zu betätigen: Spielen, Basteln, Werken, Wäsche legen, Essen zubereiten,…
  • in den Kinderzimmern entstanden Arbeitsplätze
  • ein konzentriertes Lernen war möglich
  • wir Gruppenpädagogen wussten, wo die jungen Menschen waren und mussten weniger eingreifen
  • die Platzzahl der Wohngruppen wurde auf neun verkleinert 
  • die Beziehungen untereinander, auch zu uns Pädagogen, gestalteten sich harmonischer, offener, friedlicher und freundlicher
  • es gibt für die jungen Leute Gelegenheiten ihren Bedürfnissen, ihren Wünschen und ihren Fähigkeiten nachzugehen
  • die Arbeit machte einfach Spaß

Der gestaltete Raum hat sich gerechnet und rechnet sich:

  • die Kinder und Jugendlichen haben ein Zuhause (auf Zeit). 
  • sie fühlen sich wohl.
  • die Mitwirkung der jungen Menschen, der Eltern und der Pädagogen wirkt sehr förderlich für die Identifikation.
  • der Zustand bleibt lange erhalten, es wird viel weniger zerstört, bemalt oder etwas eingeritzt.
  • auch finanziell lohnt es sich: wir schaffen weniger neue billige Möbel an, die Holzeinbauten halten länger.
  • die Struktur des Raumes zeigt den jungen Menschen die Bestimmung, die Benutzung an, ohne viel Worte - und dem Pädagogen auch.

Die Grundbedürfnisse werden befriedigt. Dazu gehören:

Geborgenheit

In den Wohngruppen der stationären Jugendhilfe wohnen künstlich gebildete Gruppen. Der unvermeidliche Gruppendruck, die stete Anspannung in der Großgruppe führt zu Rangeleien, Revier- und Machtkämpfen. Dem kann ein differenziert gestalteter Raum, der Geborgenheit vermittelt, entgegenwirken. Dies bedeutet für die Pädagogik, dass die Basis geschaffen ist für eine gezielte, geplante Erziehung und Förderung der jungen Menschen. Räumlich erlebte Geborgenheit ist die Voraussetzung zur Selbstannahme, für die Aufnahme sozialer Beziehungen und für wachsende Selbstsicherheit. Sie ermöglicht emotionales Wachstum, innere Entspannung und unterstützt sicher Gewaltlosigkeit. 

Raumgestalterisch kann Geborgenheit erreicht werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt bzw. Aspekte berücksichtigt sind:

  • Rückzugsmöglichkeiten schaffen, 
  • das Bett als individueller, besonders geschützter Bereich
  • Gliederung in Fläche und Höhe (z. B. obere Ebene)
  • harmonische Material- und Farbabstimmung 
  • sinnvolle Gliederung in Aktiv- und Ruhebereiche – möglichst quadratische Grundflächen anstreben
  • differenzierte natürliche und künstliche Beleuchtung
  • Gemeinschafts-, Kleingruppen- und Einzelbereiche schaffen

Stabilität

Stabilität gibt Halt. Der Einsatz von massiven, haltbaren Materialien und festen Einbauten deutet auf Wertschätzung hin. Es kann dadurch ein positiv stimmendes, belastbares Wohn- und Lernmilieu geschaffen werden. So wird Raumgestaltung zur vertrauensbildenden Maßnahme. Gleichzeitig werden die innere Stabilisierung und Entwicklung, das Selbstbewusstsein und die Fähigkeiten der jungen Menschen praktisch räumlich unterstützt.

Zur Erreichung von Stabilität werden bei der Raumgestaltung u. a. folgende Gestaltungsmittel eingesetzt:

  • belastbare, handwerklich hergestellte Einbauten und Möbel mit sicht- und überprüfbaren Verbindung untereinander
  • massives, haltbares Material 
  • feste, klare Strukturen, Einteilungen im Haus, im Raum
  • durchschaubare Konstruktionen und Materialquerschnitte

Beruhigung

Kleine, überschaubare Raumeinheiten schaffen Beruhigung. Große Räume werden gegliedert, wichtige Tätigkeiten werden auf einem Podest platziert, Wohnbereiche mit abgehangener Decke versehen. In langen Fluren entstehen Deckenabhängungen, seitliche Regale und eine Unterbrechung im Bodenbelag. 

Um diese Beruhigung zu erreichen, werden bei der Raumgestaltung u. a. folgende gestalterische Mittel eingesetzt:

  • individuelle und gezielte Beleuchtung
  • gedämpfte, natürliche Farbgebung und gezielte Farbakzente zur Beruhigung und Strukturierung der Räumlichkeiten
  • weiche Materialien (Stoffe)
  • massive Einbauten aus Holz
  • Holzböden

Kommunikation, Kooperation

Die Gliederung des Raumes, die dadurch gegebenen verschiedenen Möglichkeiten für die Gruppe und den Einzelnen fördern die Gruppen- und Teamfähigkeit. Hier hilft der flächenmäßig begrenzte, sinnvoll gliederte Raum, er bietet Nähe und Distanz gleichermaßen. 

Individualität und Gemeinschaft werden u. a. durch folgende Gestaltungsmittel erreicht:

  • Bereiche für die Gesamtgruppe, für Kleingruppe(n) und für Einzelne planen
  • Rückzugs- oder Konzentrationsbereiche schaffen
  • offene, gegliederte Gemeinschaftsräume
  • Sicht- und Hör-, also Teilnahmemöglichkeiten am Gruppengeschehen schaffen mit Durchblicken, kleinen Fenstern, Sprossen und Brüstungen in den Einbauten
  • Kochen, Essen und Tätigsein in den Mittelpunkt stellen
  • Räume sollen Kommunikation und Gestaltung ermöglichen

Tätigsein

Selbstgeschaffenes gibt Selbstsicherheit, lässt Selbstwirksamkeit erleben. Gemeinschaftliches Handeln beim Werken stärkt Sozialkontakte und ruft Gemeinschaftsgeist hervor. Begabungs- und zielorientierte sowie entsprechend gestaltete Tätigkeitsbereiche fördern die Fähigkeiten. Der tätige Mensch ist ein zufriedener Mensch. 

Raumgestalterisch werden zur Erreichung von Aktivität u. a. folgende Gestaltungsmittel eingesetzt:

  • sichtbar angebotene Materialien, Spiele und Werkzeuge – Aufforderungscharakter!
  • Stauraum für Materialangebote 
  • Betonung und Wertschätzung der Tätigkeit, z. B. durch Anordnung dieser Bereiche auf Podesten 
  • Integration der Tätigkeitsbereiche im Raum 
  • lebenspraktische Tätigkeiten (z. B. Hauswirtschaft) räumlich in der Gruppenmitte verankern
  • Ausstellungsmöglichkeiten (z. B. Pinnwände, Ablageflächen) für angefertigte Werkstücke oder Bilder

Es war damals unglaublich! Nachdem die Wohngruppe umgebaut war, hatten wir Pädagogen das Gefühl, die Räumlichkeiten waren verhext. Die Jugendlichen nahmen die neue Gestaltung gerne an, sie bewegten sich ganz anders, viel ruhiger, sie achteten auf die „neuen Möbel“, sie nutzten die Möglichkeiten zum Quatschen, zum Spielen und zum Werkeln. 

Die hauswirtschaftlichen Aufgaben durften nun in der Wohngruppe stattfinden: Essen kochen, Waschen, Kleidung reparieren, bügeln. Auch dies wurde von den jungen Menschen gerne angenommen und umgesetzt, sie wollten ihre Dinge selber erledigen, sie wollten ihre Kleidung nicht mehr in den Keller tragen und sie später verfärbt wieder abholen.

Und das „Beste“ war: Wenn sie von der Schule kamen, roch es nach Essen! Der erste Weg führte sie in die Küche, der erste Blick fiel in den Kochtopf. Beim Zubereiten konnten sie mithelfen; das Essen bekam eine ganz andere Wertigkeit. Und die „Köchin“ bekam beim Mittagessen sofort eine Rückmeldung über die Qualität ihrer Mahlzeit. Die Jugendlichen lobten sie für das toll angerichtete Essen. Damals wollte ich auch Köchin werden – bei so viel Lob. Und unsere Köchin erfüllte fast jeden Wunsch der Jugendlichen.

Die Prinzipien der Raumgestaltung zusammenzufassen ist schwer. Hier sind die wichtigsten Punkte, die ihr unbedingt beachten müsst. Und denkt immer daran: Raumgestaltung ist ein Teil des therapeutischen Milieus!

  • Ordnung – ist der Raum gegliedert, geben die Einbauten Struktur, so schafft es ein Kind, seine Sachen zu ordnen
  • Das Kinderzimmer in Bereiche gliedern: Schlafen, Hobby, Arbeiten und Entspannung
  • Das Bett muss geschützt sein, nicht von der Tür aus „hineinfallen“, nicht sofort einsichtig, mit eine Holzdecke versehen oder einrahmen
  • Der Arbeitsplatz sollte an der Seite sein, damit der junge Mensch den Kommenden sieht, niemanden im Rücken hat und überrascht wird 
  • Über den Schreibtisch gehört eine Pinnwand für den Stundenplan und evtl. den Wochenplan mit Terminen, für Fotos, Karten und anderes
  • Das individuelle Hobby, die Beschäftigung braucht einen eigenen Bereich: Musik hören, Basteln, Bauteppich, Aquarium, ……
  • Beleuchtungen sollten an der Wand sein, auch am Bett
  • Bilder, Poster, Fotos finden ihren Platz auf Holzleisten und in Rahmen

Was kann man heute noch tun? Nachdem alles eingerichtet ist, nachdem es für alle Einbettzimmer bzw. höchsten mal ein Zweibettzimmer gibt, nachdem es selbstverständlich ist, dass jemand in der Wohngruppe kocht, die Wohngruppe ihr Wirtschaftsgeld hat und auch jedes Jahr schöne Ferien am Meer und in den Bergen verbringen kann, …

Es ist sehr wichtig, dass ihr den jungen Menschen das Gefühl schenkt, wichtig zu sein, etwas Eigenes zu haben, sich wohl zu fühlen und dazu zu gehören.

Bei dem/der Neuen beobachtet ihr sehr genau, was er/sie gerne tut. Und dann wird mit dem jungen Menschen ein Teil vom Zimmer neu geplant und umgebaut. Dabei wird die Besonderheit des Jungen/Mädchens mit einbezogen.

Dies ist zu planen:

  • Renovierung der Aufenthaltsräume - nicht nach Hausmeistern rufen, nicht machen lassen – ein Gemeinschaftsprojekt der ganzen Gruppe
  • Bauprojekt in den Zimmern – neuer Arbeitsbereich, Bereiche für Hobbies usw.
  • Projektarbeit in der Wohngruppe und in der Einrichtung
  • Gestaltung von Räumen außerhalb der Wohngruppe – Partyraum, Werkstatt etc.
  • Gartenprojekte
  • Spielprojekte – Entwicklung von Abenteuerspielen, wie Duke of Edinburgh‘s Award
  • Reiseprojekte wie Erkundung der Welt von Pipi Langstrumpf, Rettung von Seehunden usw.
  • Tierprojekte, gemeinsam unterwegs sein, z. B. mit Pferden, Lamas, Esel
  • Erlebnispädagogische Projekte, Kurt-Hahn-Projekt, …
  • Erlebnisse mit Übernahme von Verantwortung 
  • Fahrradverein, Modellbahn, Kanufahrten,…

Es gibt viel zu tun! Packen wir´s an!

Heike Kaspers

Förderung im Leistungsbereich
Schüler und Lehrerin im Klassenzimmer mit Tafel

Schule und Beruf

Die jungen Menschen der Wohngruppe besuchen in der Regel die öffentlichen Schulen und Ausbildungsplätze an den verschiedenen Standorten. Neben Grund- und Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien arbeiten wir eng mit den Sonderschulen für Individuelle Lernförderung, Sonderschulen zur Erziehungshilfe, verschiedene Sonderschulen für behinderte junge Menschen, Wirtschaftsschulen und das gesamte Spektrum der weiterführenden Schulen an. Für die älteren Jugendlichen stehen Berufsschulen, Berufsaufbau-, Berufsfach- und Berufsoberschulen zur Verfügung. Außerdem bieten verschiedene Bildungsträger alle Arten von Berufsvorbereitenden Lehrgängen für Schulabgänger Zur Zusammenarbeit zwischen Wohngruppe und externer Schule

Die Grund- und Hauptschule als Sprengelschule sind gut zu erreichen. Alle anderen Schulen sind mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Bei besonderen Problemlagen ist allerdings auch der Transport durch einen Kleinbus oder einen Einzelfahrdienst möglich. 

Wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Leistungsförderung ist die enge Zusammenarbeit zwischen der Wohngruppe und der jeweiligen Schule. Sowohl im Hinblick auf die Diagnostik als auch auf die Erziehung und Therapie der Kinder und jungen Menschen werden alle Informationen und Maßnahmen zwischen Schule und Wohngruppe miteinander ausgetauscht und aufeinander abgestimmt. Pädagogische Fachkräfte der Schulen können bei Bedarf in die Fallbesprechungen miteinbezogen werden. Der Informationsaustausch erfolgt telefonisch, über schriftliche Mitteilungen, Mailverkehr, Chatrooms oder in persönlichen Gesprächen. An diesen nehmen nach Absprache auch die Eltern oder andere wichtige Bezugspersonen des jungen Menschen teil.

Wir unterstützen durch

  • Betreuung in der Lernzeit mit Verstärkungsprogramm
  • Übung bei spezifischen Defiziten im Lesen, Schreiben, Rechnen
  • Trainingsprogramme zur Verbesserung der Aufmerksamkeit und Konzentration und der schulischen Fertigkeiten

 

Unsere Lernzeit

In unserer Lernzeit (mindestens zwischen 14.00 Uhr und 15.00 Uhr) erhalten die Schüler eine individuelle Anleitung und Unterstützung bei ihren Hausaufgaben. Darüber hinaus müssen Defizite im schulischen Wissen und Können ausgeglichen werden. Ein mindestens einstündiges Lernen pro Tag ist verbindlich, längere Lern- und Arbeitszeiten sind dann notwendig, wenn innerhalb dieses Zeitrahmens die Leistungsanforderungen nicht bewältigt werden können. 

In den Lernzeiten wird ein Token-Verstärkungsprogramm durchgeführt, Lern- und Leistungsmotivation und Verhalten werden auf verhaltenstherapeutischer Grundlage aufgebaut. Insgesamt können die Fördermaßnahmen in vier Aspekte gegliedert werden:

  1. Einführung des Verstärkungsprogramms in Einzel- und Gruppengesprächen. Die individuellen Lern- und Arbeitsbedingungen werden im Gespräch, in Verhaltensbeobachtung und testpsychologisch erfasst. 
  2. Strukturierung und Motivationshilfen im Hinblick auf das Leistungsverhalten erfolgen durch Gespräche, Selbstbeobachtungsmaßnahmen, Fremdbeurteilung und persönliche Zielformulierung.
  3. Das Lern- und Arbeitsverhalten wird durch ein Punktsystem verstärkt, welches graphisch dargestellt wird. 
  4. Positive Schulleistungen werden ebenfalls durch ein Punktsystem verstärkt. Die Verstärkung erfolgt bei guten schulischen Beurteilungen, aber auch bei individuellen Leistungsverbesserungen.
Medienpädagogik
Smartphone im Wald mit Navigation

Best connected but reflected

Junge Menschen leben in einer Medienwelt, online mit ihren Bekannten, Verwandten und Freunden.

Smartphone und Spielekonsolen bestimmen oft den Alltag junger Menschen mehr als Schule und Familie. Ziel der Medienpädagogik ist es, die jungen Menschen zu befähigen, die Medien zu beherrschen, sie vor Verführungen zu schützen und die Vernetztheit durch die Medien für ihre Entwicklung und Bildung zu nutzen.

Dazu haben die Pädagoginnen und Pädagogen mit den jungen Menschen, insbesondere dem Heimbeirat ein Medien-(pädagogisches) Konzept entwickelt als Orientierungsrahmen für die Medienpädagogik in den Wohngruppen. 

Jede Wohngruppe hat in diesem Rahmen ein spezifisches Medienkonzept entwickelt, dass den Fähigkeiten und dem Alter der jungen Menschen der Gruppe gerecht wird.

An allen Standorten der Einrichtungen bemühen wir uns um schnelles Internet und eine gute Ausstattung mit Kommunikationsmedien. Den jungen Menschen stehen in den Wohngruppen Laptops oder Notebooks zur Verfügung.

Gleichzeitig haben wir im Rahmen eines Medienpädagogischen Schutzkonzeptes für die Kinder und Jugendlichen und die Mitarbeitenden klare Regeln für den Umgang mit Smartphones, Laptops, Notebooks und anderen Medien aufgestellt, die einen Missbrauch verhindern und zumindest erschweren.

So lernen die jungen Menschen einerseits mittels Internet, Unterrichtsstoff aus der Schule zu bearbeiten, Referate zu schreiben, Natur und Kultur zu erkunden, Kontakte zu pflegen, und anderseits lernen sie, sich vor Diskriminierung, Bloßstellung, grenzverletzendem Verhalten, Betrug und Ausbeutung zu schützen.

Regelmäßig wird die Mediennutzung in den Wohngruppen mit den jungen Menschen reflektiert. In gemeinsamen Projekten werden die Medienfähigkeiten gefördert.

Sexualpädagogik
Pfau schlägt Rad

Über Sexualität spricht man nicht!

Bei uns doch!

Wir sprechen über Sexualität, die Entwicklung der jungen Menschen und ihr Umfeld. Wir sprechen mit jedem Kind und Jugendlichen, ihren Eltern und Bezugspersonen und ihrer Gruppe. Wir führen Einzel- und Gruppengespräche, informieren und beraten und bieten auch bei Bedarf ein therapeutisches Setting.

Nach dem sexualpädagogischen Konzept der Einrichtung werden die Kinder und Jugendlichen altersgemäß über die gesetzlichen Regelungen informiert. Sie erörtern, welche Verhalten altersgemäß sind. Sie erfahren, was in ihrem Umfeld, ihrer Familie, ihrer Gruppe, ihrem Freundeskreis, erlaubt und was verboten ist und diskutieren unterschiedliche Rollen und Normen des Sexuallebens. Über Verhütungsmethoden werden sie altersgemäß aufgeklärt. 

Jugendliche können an einer spezielle Beratungs- und Therapiegruppe „Partnerschaft und Freundschaft“ teilnehmen. Bei speziellen psychischen Problematiken ist Einzeltherapie möglich.

Alle Fachkräfte der Einrichtung sind an der Sexualerziehung der uns anvertrauten Kinder beteiligt. In Teamberatung und Fortbildung beschäftigen wir uns aktuell mit den Themen „Schutz vor sexueller Gewalt“ und „Sexualität und Behinderung“.